Jedes Jahr im Spätsommer steht die gleiche Frage im Raum: Wegwerfen oder bewahren? Eine einzige vollreife Tomate trägt bis zu 200 Samen in sich, ein Chili locker 50. Wer Saatgut retten will – ob Tomate, Chili oder beides –, braucht keine Vorkenntnisse, aber ein paar handfeste Tricks. Fermentation löst keimhemmende Schichten, richtige Trocknung verhindert Schimmel, und die Lagerung entscheidet über die Keimfähigkeit in fünf Jahren. Dieser Leitfaden zeigt dir Schritt für Schritt, wie du dein eigenes Saatgut sortenrein gewinnst, häufige Fehler vermeidest und am Ende ein beschriftetes Schraubglas in den Keller stellst – bereit für die nächste Saison.
Inhaltsverzeichnis
Warum Saatgut retten? Drei Gründe, die zählen
Saatgut aus dem Supermarkt keimt nicht immer. Viele Tomaten und Paprika stammen aus F1-Hybriden – Züchtungen, deren Nachkommen nicht sortenecht bleiben. Wer samenfeste Sorten anbaut und deren Saatgut rettet, sichert sich Unabhängigkeit. Erstens sparst du Geld: Ein Tütchen Bio-Tomatensamen kostet drei bis fünf Euro, eine selbst geerntete Frucht liefert genug für zehn Jahre. Zweitens behältst du Kontrolle über Geschmack und Eigenschaften – die süßeste Tomate bleibt süß, die schärfste Chili bleibt scharf. Drittens unterstützt du Sortenvielfalt: In Deutschland, Österreich und der Schweiz engagieren sich Vereine wie der VEN oder Arche Noah dafür, alte Sorten lebendig zu halten. Saatgutbörsen im Frühjahr sind ideale Anlaufstellen für samenfeste Ausgangssorten.
Samenfest oder F1-Hybrid? So erkennst du den Unterschied
Nicht jede Tomate eignet sich zur Saatgutgewinnung. F1-Hybride entstehen aus kontrollierten Kreuzungen zweier Elternlinien – sie zeigen in der ersten Generation (F1) oft hohe Erträge und Widerstandsfähigkeit, aber ihre Samen spalten genetisch auf. Das heißt: Die nächste Generation bringt unvorhersehbare Pflanzen hervor, manchmal kleinwüchsig, manchmal ohne Ertrag. Samenfeste Sorten dagegen vererben ihre Eigenschaften stabil. Auf Saatguttütchen steht meist „samenfest“ oder „nachbaufähig“. Fehlt der Hinweis, ist oft F1 gemeint. Bei Chili gilt das Gleiche: Capsicum annuum und andere Arten sind zwar Selbstbefruchter, doch ohne Sortenreinheit können sich Nachbarn einkreuzen. Wer sichergehen will, wählt beim Einkauf bewusst samenfeste Ausgangssorten oder tauscht auf Saatgutbörsen.
Tomate: Fermentation als Schlüssel zur Keimfähigkeit

Tomatensamen sind von einer gallertartigen Schicht umgeben, die Keimhemmung bewirkt und Krankheitserreger übertragen kann. Fermentation – im Grunde kontrollierte Gärung – baut diese Schicht ab und erhöht die Keimrate. So gehst du vor: Schneide eine vollreife Tomate auf, löffle Gel und Samen in ein kleines Schraubglas und füge etwa die gleiche Menge Wasser hinzu. Decke das Glas locker ab (Luftaustausch muss möglich sein) und stelle es bei etwa 20 Grad Celsius auf. Nach 24 bis 48 Stunden beginnt die Gärung – erkennbar an Bläschenbildung, leichtem Schaum und einem säuerlichen Geruch. Spätestens nach 72 Stunden sind die Samen fertig: Sie sinken zu Boden, das Gel löst sich sichtbar auf. Jetzt gießt du die Flüssigkeit durch ein feines Sieb, spülst die Samen unter fließendem Wasser gründlich ab und breitest sie auf einem Kaffeefilter oder Küchenpapier aus. Trocknung dauert fünf bis sieben Tage bei Raumtemperatur, fern von direkter Sonne. Ein Test: Knacken die Samen beim Knicken, sind sie trocken genug.
Häufiges Problem ist Kahmhefe – ein weißer Belag, der nach zwei Tagen auftreten kann. Er ist nicht schädlich, sollte aber abgeschöpft werden, ohne das Gemisch zu rühren. Zu lange Fermentation (über vier Tage) kann dazu führen, dass Samen anfangen zu quellen oder sogar vorzeitig keimen – dann ist die Keimfähigkeit verloren. Der Gärgeruch ist normal und kein Zeichen für Verderb, solange die Samen intakt bleiben.
Chili: Trocknung statt Fermentation – so geht’s schonend

Chili und Paprika brauchen keine Fermentation. Ihre Samen liegen frei in der Frucht und tragen keine keimhemmende Schicht. Schneide eine vollreife Frucht längs auf, kratze die Samen mitsamt der Plazenta (dem hellen Innenteil, an dem die Samen hängen) vorsichtig heraus und lege sie auf Küchenpapier. Trocknung sollte schonend erfolgen: Temperaturen über 35 Grad Celsius können die Keimfähigkeit beschädigen. Ein Dörrgerät mit einstellbarer Temperatur ist ideal, aber auch ein warmer, gut belüfteter Raum reicht aus. Backofen nur, wenn du die Temperatur exakt kontrollieren kannst und die Tür einen Spalt offen lässt. Nach etwa einer Woche sind die Samen trocken – sie sollten hart sein und beim Knicken brechen.
Ein häufiger Fehler: Zu schnelle Trocknung bei zu hoher Hitze lässt die Samenschale verhärten, ohne das Innere vollständig zu trocknen. Später bildet sich Schimmel im Lager. Auch unzureichende Trocknung führt zu Problemen – Samen, die noch biegsam sind, gehören nicht ins Schraubglas. Ein weiterer Punkt: Schärfe. Capsaicin sitzt in der Plazenta, nicht in den Samen selbst. Wer empfindliche Haut hat, trägt beim Ernten Handschuhe.
Sortenreinheit sichern: Kreuzungen vermeiden
Tomaten sind Selbstbefruchter – die Blüte bestäubt sich meist selbst, bevor sie sich öffnet. Trotzdem kommt es gelegentlich zu Fremdbestäubung durch Hummeln oder Wind, vor allem bei offenem Anbau. Wer auf Nummer sicher gehen will, hält verschiedene Sorten räumlich getrennt (mindestens fünf Meter) oder schützt einzelne Blütenstände mit Organzabeuteln. Nach der Bestäubung können die Beutel entfernt werden. Bei Chili ist Sortenreinheit kniffliger: Capsicum-Arten sind zwar ebenfalls selbstbefruchtend, doch Fremdbestäubung durch Insekten liegt real bei über zehn Prozent – je nach Standort und Bestäuberdichte. Einfache Lösung für den Balkon: Isoliere blühende Pflanzen mit einem feinen *Netz oder *Vlies, das Bienen und Hummeln fernhält. Handbestäubung ist eine Alternative – mit einem weichen Pinsel überträgst du Pollen innerhalb einer Blüte und markierst sie anschließend mit einem Faden. Diese Früchte erntest du getrennt.
Wer mehrere Sorten gleichzeitig anbaut, beschriftet Pflanzen von Anfang an. Ein einfaches Etikett am Stängel verhindert Verwechslungen bei der Ernte. Sortenreinheit bedeutet nicht nur genetische Treue, sondern auch, dass du Jahr für Jahr die gleichen Eigenschaften erwarten kannst – Geschmack, Wuchsform, Reifezeit.
Lagerung: Kühl, trocken, dunkel – mit System

Selbst perfekt getrocknete Samen verlieren Keimfähigkeit, wenn die Lagerung stimmt nicht. Zielbereich liegt bei fünf bis zehn Grad Celsius, trocken und dunkel. Ein kühler Keller ist ideal, ein Kühlschrank funktioniert ebenfalls – sofern die Samen absolut trocken sind, sonst kondensiert Feuchtigkeit im Glas. Schraubgläser mit dichten Deckeln schützen vor Luftfeuchtigkeit. Lege ein kleines Säckchen Silicagel bei, das überschüssige Feuchte bindet. Beschriftung ist Pflicht: Sortenname, Erntedatum, eventuell Herkunft. Ohne Etikett wird aus „San Marzano“ schnell „irgendeine rote Tomate“. Tomatensamen lagern bleiben unter guten Bedingungen fünf bis acht Jahre keimfähig, Chilisamen oft vier bis sechs Jahre. Dennoch sinkt die Keimrate über die Zeit – nach drei Jahren keimt vielleicht noch 70 Prozent, nach fünf Jahren nur noch die Hälfte.
Ein Praxistipp: Lagere mehrere Portionen derselben Sorte in getrennten Gläsern. Öffnest du ein Glas, dringt Feuchtigkeit ein – der Rest bleibt unberührt. Wer samenfeste Sorten über Generationen führen will, erneuert den Bestand alle drei bis vier Jahre durch frische Aussaat.
Keimtest: So prüfst du die Qualität
Bevor du im Frühjahr hundert Samen aussäst, lohnt ein Keimtest. Nimm zehn bis zwanzig Samen, lege sie auf feuchtes Küchenpapier in eine flache Schale und decke sie mit Frischhaltefolie ab. Stelle die Schale warm (etwa 20 bis 25 Grad) und halte das Papier feucht. Nach sieben bis zehn Tagen sollten die meisten Samen gekeimt sein – notiere die Quote. Liegt sie über 70 Prozent, ist das Saatgut gut. Zwischen 50 und 70 Prozent bedeutet: Säe dichter aus. Unter 50 Prozent lohnt die Aussaat kaum noch. Der Test zeigt auch, ob die Lagerung funktioniert hat. Feucht gewordene Samen keimen oft ungleichmäßig oder gar nicht. Schimmelbildung im Test deutet auf zu hohe Restfeuchte hin – dann musst du nachtrocknen.
Ein zweiter Nutzen: Du erkennst, ob Samen überhaupt lebensfähig sind. Alte Tüten aus dem Vorjahr, vergessene Gläser im Keller – ein schneller Keimtest spart Enttäuschungen im Beet. Dokumentiere die Ergebnisse auf dem Etikett: „Keimtest 01/2025: 16/20″ gibt dir für die nächste Saison Orientierung.
Häufige Fehler und wie du sie vermeidest

Fehler eins: Unzureichende Trocknung. Samen, die noch biegsam sind, schimmeln im Lager. Lösung: Warte lieber zwei Tage länger, bis sie beim Knicken knacken. Fehler zwei: Zu lange Fermentation bei Tomaten. Nach vier Tagen quellen Samen oder keimen vorzeitig – die Keimfähigkeit ist dahin. Lösung: Kontrolliere täglich, spätestens nach 72 Stunden abspülen. Fehler drei: Fehlende Beschriftung. Ohne Etikett verlierst du Sortenname und Erntejahr. Lösung: Beschrifte sofort, nicht „später“. Fehler vier: Falsche Lagerung. Zu warm, zu feucht, zu hell – alles schadet. Lösung: Schraubglas mit Silicagel, kühler Keller, dunkel. Fehler fünf: Keine Sortenreinheit. Verschiedene Sorten stehen nebeneinander, Insekten kreuzen ein. Lösung: Räumliche Trennung oder Isolationsnetze. Fehler sechs: Zu hohe Trocknungstemperatur bei Chili. Über 35 Grad schädigt die Keimfähigkeit. Lösung: Dörrgerät mit Thermostat oder geduldiges Lufttrocknen.
FAQ
Kann ich Saatgut aus Supermarkt-Tomaten gewinnen?
Ja, theoretisch. Viele Supermarkt-Tomaten sind allerdings F1-Hybride – die Samen keimen zwar, aber die Pflanzen zeigen unvorhersehbare Eigenschaften. Wenn du Glück hast, wächst eine ertragreiche Tomate; oft sind die Nachkommen aber schwach oder ertraglos. Für verlässliche Ergebnisse greife zu samenfesten Sorten aus Bio-Gärtnereien oder Saatgutbörsen.
Wie lange sind selbst gewonnene Samen keimfähig?
Tomatensamen bleiben unter optimalen Bedingungen (kühl, trocken, dunkel) fünf bis acht Jahre keimfähig, Chilisamen vier bis sechs Jahre. Die Keimrate sinkt jedoch mit der Zeit. Ein Keimtest vor der Aussaat zeigt dir, ob das Saatgut noch taugt. Generell gilt: Je kühler und trockener die Lagerung, desto länger die Haltbarkeit.
Muss ich Tomatensamen fermentieren oder reicht Trocknung?
Fermentation ist bei Tomaten dringend empfohlen. Die gallertartige Schicht um den Samen enthält keimhemmende Stoffe und kann Krankheitserreger tragen. Ohne Fermentation keimen Samen schlechter und ungleichmäßiger. Chili und Paprika brauchen keine Fermentation – einfaches Trocknen reicht.
Was ist Kahmhefe und ist sie schädlich?
Kahmhefe ist ein weißer, oft leicht pelziger Belag, der während der Fermentation auf der Oberfläche entsteht. Sie ist nicht schädlich, sollte aber vorsichtig abgeschöpft werden, ohne das Gemisch zu rühren. Kahmhefe zeigt an, dass die Gärung läuft – sie ist kein Zeichen für verdorbene Samen.
Wie verhindere ich Schimmel auf trocknenden Samen?
Schimmel entsteht durch zu hohe Restfeuchte oder zu langsame Trocknung. Breite Samen dünn aus, sorge für gute Luftzirkulation und vermeide direkte Sonne (die Samen werden zu heiß). Kaffeefilter oder Küchenpapier als Unterlage saugen überschüssige Feuchte auf. Wenn Samen nach einer Woche noch biegsam sind, trockne weiter.
Wie halte ich Chili sortenrein auf dem Balkon?
Capsicum-Arten sind Selbstbefruchter, aber Insekten können Pollen übertragen. Isoliere blühende Pflanzen mit einem feinen *Netz oder *Vlies, das Bienen fernhält, oder bestäube einzelne Blüten von Hand mit einem Pinsel und markiere sie mit einem Faden. Ernte diese Früchte getrennt und beschrifte das Saatgut klar.
Kann ich Samen im Kühlschrank lagern?
Ja, aber nur, wenn sie absolut trocken sind. Restfeuchte kondensiert im kalten Glas und führt zu Schimmel. Lege Silicagel bei und verschließe das Glas dicht. Ein kühler Keller (5 bis 10 Grad) ist meist unkomplizierter und reicht für mehrjährige Lagerung völlig aus.
Woran erkenne ich, ob Samen noch gut sind?
Mache einen Keimtest: Lege zehn bis zwanzig Samen auf feuchtes Küchenpapier, halte sie warm und feucht und warte sieben bis zehn Tage. Keimt die Mehrheit, ist das Saatgut in Ordnung. Optisch erkennst du schlechte Samen manchmal an Verfärbungen oder Schimmelbefall – aber der Keimtest ist der verlässlichste Indikator.
Wo finde ich samenfeste Sorten in Deutschland, Österreich oder der Schweiz?
In Deutschland ist der VEN (Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt) eine gute Anlaufstelle, ebenso der BUND mit regionalen Saatgutbörsen. In Österreich bietet Arche Noah ein breites Sortiment samenfester Sorten und Beratung. In der Schweiz findest du samenfeste Sorten bei Zollinger Bio und auf lokalen Saatgutmärkten. Viele Vereine organisieren im Frühjahr Tauschbörsen – ideal für Einsteiger.
Was mache ich, wenn fermentierte Tomatensamen nicht sinken?
Wenn Samen nach 72 Stunden immer noch schwimmen, ist entweder die Fermentation unvollständig oder die Samen sind taub (leer). Verlängere die Fermentation um einen weiteren Tag und prüfe erneut. Schwimmende Samen sind meist nicht keimfähig – sortiere sie aus und verwende nur die gesunkenen.
Fazit
Saatgut retten ist keine Hexerei, sondern geduldige Handarbeit mit klaren Regeln. Tomate braucht Fermentation, Chili schonende Trocknung, beide verlangen kühle, trockene Lagerung und ein Etikett, das nicht verblasst. Wer samenfeste Sorten wählt, Sortenreinheit im Blick behält und einen Keimtest vor der Aussaat macht, hält den Kreislauf am Laufen – Jahr für Jahr, Ernte für Ernte. Der Aufwand ist gering, der Ertrag hoch: Ein Schraubglas voller Samen ist mehr als eine Reserve für nächstes Jahr. Es ist Unabhängigkeit, Geschmackskontrolle und ein kleines Stück Sortenvielfalt, das du selbst in der Hand hältst. Fang an – mit einer Tomate, einem Chili, einem Glas.
Bildquellen
- Tomatenfermentation: Erde und Ernte
- Chilisamen schonend trocknen: Erde und Ernte
- Lagerung im Keller: Erde und Ernte
- Samen abspülen: Erde und Ernte
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